Von die­sem Quar­tett wird man noch viel hören

Klas­sik in Hand­schuh­sheim: Ne­ri­da-Quar­tett be­geis­tert gleich zwei­mal in Vil­la Krehl

Ei­gent­lich ist die Kon­zert­rei­he noch sehr jung. Trotz­dem hat sich „Klas­sik in Hand­schuh­sheim“ be­reits fest im Hei­del­ber­ger Mu­sik­le­ben eta­bliert, so­dass der Jah­res­auf­takt mit dem Ne­ri­da-Quar­tett so­gar ei­nen Zu­satz­ter­min be­kam, der eben­falls di­rekt aus­ver­kauft war. Und man wur­de nicht ent­täuscht. Mit Saskia Niehl und Neve­na To­chev (Vio­li­ne), Brat­schist Pie­tro Mon­te­ma­gni und Alma Ted­de am Cel­lo hat­ten nicht nur ex­zel­len­te Mu­si­ker den Weg in die Vil­la Krehl ge­fun­den, sie ver­lie­hen Mo­zarts 15. Quar­tett d‑Moll auch ein völ­lig neu­es Ant­litz, das gänz­lich für sich einnahm.

Gleich zu Be­ginn hät­te man bei düs­te­ren Ab­grün­den wohl eher ei­nen Spät­ro­man­ti­ker ver­mu­tet, wo­bei ein Strich ge­nüg­te, um von er­schre­cken­der Tra­gik in klas­si­sche Lieb­lich­keit zu wech­seln. Kon­ge­ni­al wur­de fort­an zwi­schen die­sen Ge­gen­po­len ge­pen­delt, wo sich dank wun­der­ba­rem Team­geist alle stets im sel­ben Stim­mungs­are­al be­weg­ten. Mit gro­ßem Ein­füh­lungs­ver­mö­gen, star­ken Emo­tio­nen und bild­haf­ter Spra­che wur­de hier ge­ar­bei­tet, um ne­ben furcht­erre­gen­den Zu­spit­zun­gen ge­nau­so angst­ein­flö­ßen­de Stil­le zu schaf­fen. Nicht min­der schmerz­haf­te Züge ver­lieh ihr leid­vol­ler Gei­gen­strich dem An­dan­te, das sen­si­ble Bo­gen­hän­de und klein­schrit­ti­ge Tem­po­ab­stu­fun­gen op­ti­mal zur Gel­tung brach­te. Glü­hen­des Tem­pe­ra­ment be­wie­sen sie im Me­nu­et­to, wo sie ver­stärkt ihre ver­we­ge­ne Sei­te ent­deck­ten. Noch küh­ner be­en­de­ten sie die­se Glanz­leis­tung mit dem Allegro.

Das Sprin­gen zwi­schen Ex­tre­men setz­ten sie in Schu­berts Quar­tett­satz c‑Moll D 703 fort, als sich an­fäng­li­ches Wis­pern suk­zes­si­ve zum es­ka­lie­ren­den Hö­he­punkt ent­wi­ckel­te. Mit ge­wech­sel­ter Pri­ma­ria stell­te das Quar­tett zu­dem enor­me Fle­xi­bi­li­tät un­ter Be­weis, da al­les ge­nau­so über­ein­stim­mend ab­lief wie zu­vor, gleich­zei­tig durch schar­fe Stri­che aber auch neue Klang­kul­tu­ren ein­ge­bracht wur­den. Bei sol­chem Spiel­na­tu­rell war klar, dass die vier eben­so für Schost­a­ko­witsch den pas­sen­den Ton­fall fin­den. Das alt­ehr­wür­di­ge Mu­sik­zim­mer der Vil­la Krehl wur­de mit des­sen 4. Quar­tett D‑Dur zwar an sei­ne akus­ti­schen Gren­zen ge­führt, ließ durch die­se Nähe op. 83 aber noch viel er­schüt­tern­der auf den Zu­hö­rer wir­ken: Sei es in zwie­lich­ti­gen Ge­fil­den, bei­ßen­der Schril­le oder ver­lo­re­ner Hilflosigkeit.

Das sti­lis­ti­sche Re­per­toire der vier ver­moch­te dem Werk in sei­ner gan­zen Aus­drucks­brei­te ge­recht zu wer­den und scheu­te auch kein Ri­si­ko. Ein­mal führ­ten gro­tesk tän­ze­ri­sche Mo­ti­ve plötz­lich ins Nichts, ein an­der­mal tra­ten sie un­durch­schau­bar auf der Stel­le. Und im­mer wie­der ver­fie­len sie scho­nungs­los in pure Zer­stö­rungs­wut. Da­mit woll­ten sie die Hö­rer al­ler­dings nicht nach Hau­se schi­cken, wes­halb es noch Pia­zoll­as Li­ber­t­an­go gab, eben­falls sehr in­di­vi­du­ell. Die­se Ei­gen­schaft wird das Quar­tett noch weit bringen.

von Si­mon Scherer
Rhein-Ne­ckar-Zei­tung vom 16.01.2019